Die Eselstrategie
Liebe Newsletter-Leserinnen und -Leser,
unterhalten Sie sich einmal mit jemand über Aktien, der noch nie Geld an der Börse angelegt hat. Oder lauschen Sie mal einem Stammtischgespräch über Aktien. Bestimmt werden Sie Folgendes zu hören bekommen: „An der Börse verdient man doch nur, wenn man billig kauft und dann oben den Ausstieg nicht verpasst. Wer nicht dauernd kauft und verkauft, hat keine Chance.“
Hört sich ziemlich gescheit und professionell an. Doch in meinen über 35 Jahren an der Börse habe ich gelernt: Diese Strategie funktioniert in der Praxis nicht. Wäre es so einfach, dann müssten im Börsentief alle zugreifen. Tut aber kaum einer!
Warum funktioniert „unten kaufen und oben verkaufen“ nicht? Weil es an der Börse nicht nur Bullen und Bären gibt, sondern auch viele Esel. Während Bullen und Bären von der künftigen Kursrichtung überzeugt sind, wissen die Esel nie so recht, welchen Weg sie einschlagen sollen. In überschwänglichen Phasen treiben die Bullen mit ihrer Euphorie die Esel massenweise in Aktien. Und in deprimierenden Zeiten rennen die Esel willenlos in die Fänge der Bären.
Deshalb gelingt ihnen häufig das Kunststück, oben zu kaufen und unten zu verkaufen – obwohl sie es eigentlich genau andersherum vorhatten. Während sich die Esel immer mit der Herde treiben lassen, müssen Bullen und Bären standhaft bleiben. Keine einfache Aufgabe: Immer wenn ihr Gegner das Sagen hat, werden sie von einer Horde wilder Esel überrannt – und werden so kaum noch gehört.
Doch klein beizugeben und das Lager zu wechseln, ist sinnlos, denn damit wird man ja selbst zum Esel. Es hilft alles nichts: Man muss sich an der Börse für eine Richtung entscheiden. Bulle oder Bär?
Mit Blick auf die langfristige Aufwärtsbewegung der Börse fühle ich mich im Lager der Bullen am besten aufgehoben. Denn statistisch gesehen liegen sie auf Dauer richtig. Die Börse steigt öfter, als sie fällt. Das kann man natürlich einem Börsenneuling nur sehr schwer klarmachen, schließlich will er das schnelle Geld verdienen.
Doch einen erfolgreichen Vertreter der Idealstrategie „unten kaufen und oben verkaufen“ habe ich noch nicht kennengelernt. Denn das wäre dann ein Goldesel – und den gibt’s leider nur im Märchen. |